Tarifeinheitsgesetz: dbb-Zweifel an Verfassungsmäßigkeit durch Bundestags-Gutachten gestärkt

Tarifeinheitsgesetz
Foto: Marco Urban
Die Position des dbb beamtenbund und tarifunion ist eindeutig: Mit dem geplanten Gesetz zur Tarifeinheit verstößt die Bundesregierung gegen das Grundgesetz. Nunmehr hegt auch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) auf den Weg gebrachten Tarifeinheitsgesetzes. Der dbb setzt sich für eine Veröffentlichung des Gutachtens ein.

Das Gutachten, in Auftrag gegeben von der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke (Bündnis 90/Die Grünen), kommt zu dem Schluss, dass das Gesetz einen Eingriff in die kollektive Koalitionsfreiheit nach Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes darstellt, wie Müller-Gemmeke gegenüber der Tageszeitung „Die Welt“ (Ausgabe vom 10. Februar 2015) berichtete.

Dass dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zufolge Arbeitskämpfe als unverhältnismäßig zu interpretieren seien, wenn sie den Abschluss eines Minderheitentarifvertrages bezwecken, hatte der dbb von Beginn an als verfassungswidrigen Eingriff in Streikrecht und Koalitionsfreiheit kritisiert, der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags sehe das ebenfalls kritisch, bestätigte nun Müller-Gemmeke. Eingriffe in Grundrechte könnten den Autoren zufolge zwar möglich sein, aber nur, wenn sie gerechtfertigt seien. Das offizielle Ziel des Gesetzes, die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu sichern, reiche dafür nicht aus. Außerdem habe es weder eine bedeutende Zunahme von Arbeitskämpfen gegeben, seit das Bundesarbeitsgericht 2010 das Prinzip der Tarifeinheit in Betrieben modifiziert hat, noch sei der Betriebsfrieden zunehmend gefährdet, heiße es in dem Gutachten weiter. Die vom Gesetzgeber angeführte Ordnungsfunktion der gesetzlichen Tarifeinheit sei nicht genügend belegt und stelle keinen Grund für einen Eingriff in die Koalitionsfreiheit dar, urteilen laut Müller-Gemmeke die Gutachter. Auch die Betroffenheit Dritter bei Streiks im Bereich der Daseinsvorsorge könne dem Gutachten zufolge die gesetzliche Tarifeinheit nicht rechtfertigen.

Der dbb Bundesvorsitzende Klaus Dauderstädt plädierte für eine Veröffentlichung des Gutachtens: „Wir sehen unsere Positionen erneut kompetent und parteipolitisch neutral bestätigt und würden es sehr begrüßen, wenn sich der Deutsche Bundestag für eine Veröffentlichung dieser wichtigen Analyse entscheidet. Immerhin geht es um ein elementares Grundrecht unserer Verfassung, das in Gefahr ist, insofern besteht ein sehr gut begründetes Interesse der Öffentlichkeit an umfassenden und fundierten Informationen.“

Der Wissenschaftliche Dienst in der Verwaltung des Deutschen Bundestages unterstützt die Abgeordneten mit Informationen, damit sie ihre Hauptaufgaben, Gesetzgebung und Kontrolle der Regierung, angemessen wahrnehmen können. Im Auftrag einzelner Abgeordneter sammeln die Experten Informationen und bewerten sie. Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes sind grundsätzlich nicht allgemein zugänglich, sondern zunächst nur dem Auftraggeber, der sie später auf Anfrage auch anderen Mandatsträgern zur Verfügung stellen kann. Der Auftraggeber selbst darf das Gutachten weder veröffentlichen, noch aus ihm zitieren, sondern den Inhalt nur in eigenen Worten wiedergeben. Die Entscheidung über die weitere Verbreitung obliegt der Spitze des Bundestags.

Zum Hintergrund:

Bis 2010 gab es den Grundsatz der Tarifeinheit, der klar vorgab: Ein Betrieb, ein Tarifvertrag. Das Bundesarbeitsgericht kippte das über Jahrzehnte gültige Prinzip, da es für verfassungswidrig befunden wurde. Seitdem können für dieselbe Beschäftigungsgruppe in einem Betrieb unterschiedliche Tarifverträge gelten.

Der von der Bundesregierung am 11. Dezember 2014 beschlossene Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit soll nun wieder einen gesetzlichen Rahmen für Fälle schaffen, in denen Gewerkschaften ihren Streit innerhalb eines Betriebs nicht allein lösen können. Nach dem Mehrheitsprinzip soll in dem Bereich, in dem es zu kollidierenden Tarifverträgen kommen würde, der Vertrag der Gewerkschaft gelten, welche die meisten Mitarbeiter vertritt. Die Bundesregierung sieht darin einen Schritt in Richtung Lohngerechtigkeit.

Der dbb sieht jedoch weder juristisch noch politisch einen Bedarf zur gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit und lehnt den Entwurf als Frontalangriff auf das Grundrecht der Koalitionsfreiheit ab. „Gewerkschaftliche Vielfalt ist in Deutschland verfassungsrechtlich garantiert. Das bedeutet zugleich: Tarifautonomie ist ein hohes Gut, das es zu schützen gilt“, machte Klaus Dauderstädt in seinen zahlreichen Gesprächen auf politischer Ebene immer wieder deutlich. Es gebe hierzulande eine gesunde und stabile Sozialpartnerschaft. „Gesetzliche Einschnitte in das bewährte deutsche Arbeitskampfrecht schaden nur – und sie sind grundgesetzwidrig“, warnte der dbb Chef. Deshalb werde sich seine Organisation mit allen gebotenen Mitteln dagegen zur Wehr setzen.

Dauderstädt verwies zudem darauf, dass auch die Freiheitsrechte des Einzelnen mit dem Gesetz beschnitten würden. „Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht darüber zu entscheiden, ob und wie sie oder er sich organisiert. Aber wenn mit gesetzlichen Regelungen ein Streik für kleinere Gewerkschaften per se ausgeschlossen wird, sind diese in ihrer Existenz bedroht. Denn warum sollen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Mitglieder einer Gewerkschaft werden, die man der Möglichkeiten zu wirksamer Interessenvertretung beraubt hat? Zwangstarifeinheit und Koalitionsfreiheit gehen eben nicht zusammen.“

Der Entwurf des Tarifeinheitsgesetzes stand am 6. Februar 2015 auf der Tagesordnung des Bundesrates. Dieser ließ das Gesetz, das nicht zustimmungspflichtig ist, bei Enthaltung mehrerer Länder passieren.

Sollte die Zwangstarifeinheit tatsächlich in der vorgesehenen Form vom Gesetzgeber beschlossen werden, bleibt dem dbb nur der Weg vor das Bundesverfassungsgericht.

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